Patient Fertighaus: Diagnose, Risiken und Sanierungswege
Die Suche nach einem neuen Zuhause ist oft mit vielen Fragen verbunden. Zahlreiche Entscheidungen stehen an: Soll neu gebaut werden oder kommt ein Bestandsgebäude infrage? Gleichzeitig ist der Wunsch klar. Ein eigenes Haus, das bezahlbar ist, zügig realisiert wird und am besten schlüsselfertig übergeben wird.
Für viele Familien wurde dieser Traum mit einem Fertighaus Wirklichkeit. Besonders in den 60er bis 90er Jahren boomten diese Bauweisen. Doch was einst als pragmatische Lösung galt, entwickelt sich für manche Hausbesitzer heute zur gesundheitlichen Belastung. Denn Fertighäuser älterer Baujahre haben leider oft Probleme mit Schadstoffen, die langfristig zu Geruchsproblemen und Erkrankungen führen können.
Was ist ein Fertighaus überhaupt?
Um das Problem zu verstehen, muss man zunächst die Bauweise betrachten. Ein Fertighaus unterscheidet sich vom klassischen Massivhaus (Stein auf Stein) dadurch, dass große Teile des Gebäudes industriell vorgefertigt werden. Meistens wurde die Holzständerbauweise eingesetzt. Die einzelnen Wände, Decken oder Dachelemente werden im Werk produziert und dann auf der Baustelle innerhalb weniger Tage zusammengesetzt.
Gerade in der Nachkriegszeit und während des Wirtschaftswunders war diese Methode extrem beliebt: Sie war schnell, kostengünstig und effizient. Die Häuser boten auf kleiner Fläche viel Raum, waren flexibel in der Planung und wurden oft als „moderne Lösung“ gegenüber der als schwerfällig geltenden Ziegelbauweise beworben.
Doch die Bauweise der damaligen Zeit hatte auch ihre Probleme, insbesondere was die verwendeten Materialien betrifft. Um die leichte Holzkonstruktion langlebig zu machen, musste sie vor Schimmel, Fäulnis und Insekten geschützt werden. Viele Fertighäuser enthalten daher Stoffe, die aus heutiger Sicht problematisch und mittlerweile sogar verboten sind.
Diagnose: Woran erkennt man ein Fertighaus älterer Bauart?
Nicht immer ist auf den ersten Blick ersichtlich, ob es sich um ein Massiv- oder ein Fertighaus handelt, da viele Gebäude nachträglich verputzt oder verklinkert wurden. Wenn du dir unsicher bist, helfen folgende Merkmale bei der Einschätzung:
- Baujahr: Besonders relevant sind Fertighäuser, die zwischen den 1960er und ca. 1990 gebaut wurden. In dieser Zeitspanne kamen die heute kritisierten Materialien und Baustoffe zum Einsatz.
- Wandstärke und Klang: Die Außenwände sind im Vergleich zum Massivbau oft auffällig dünn (häufig unter 20 cm). Ein Klopfen an die Innenwände erzeugt oft ein hohles Geräusch. Das liegt an der leichten Holzbauweise (Holzrahmen mit Spanplatten und Dämmung dazwischen).
- Architektur und Grundrisse: Viele Fertighäuser wurden in Serienproduktion gebaut und haben gleiche oder ähnlich typische Grundrisse. Oft sieht die ganze Siedlung „gleich“ aus.
- Der Keller-Übergang: Viele Fertighäuser stehen auf einem massiven Keller (Beton oder Mauerwerk). Der Übergang zwischen dem massiven Sockel und dem aufgesetzten Holzbau ist an der Fassade oft durch einen leichten Überstand oder einen Materialwechsel erkennbar.
- Typische Gerüche: Ein leicht muffiger, stechender oder süßlicher Geruch. Man kann den Geruch als „Altkleider-Geruch“ oder „Kellergeruch“ beschrieben. Dieser Geruch entsteht durch den Einsatz von Holzschutzmitteln und kann erst nach Jahrzenten auftreten und in der Stärker sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.
Warum wird das Fertighaus zum „Patienten“?
Das eigentliche Problem liegt nicht in der Bauweise selbst. Der Holzrahmenbau ist heute eine der ökologischsten Bauweisen. Aber das Problem liegt in den damals verwendeten Materialien und Baustoffe. Damals wurde oft auf chemische Produkte zurückgegriffen, die heute verboten oder stark reguliert sind.
Die größten Probleme der damaligen Zeit waren die Spanplatten als Wandelemente. Um diese Platten stabil zu verleimen, nutzte man große Mengen formaldehydhaltiger Klebstoffe. Um das Holzgerüst vor Zersetzung zu schützen, wurde es mit Holzschutzmitteln gestrichen. Diese Stoffe gasen auch Jahrzehnte später noch aus und genau das macht sie so problematisch für die Gesundheit.
Je nach eingesetzten Materialien und Bauweisen können weitere unterschiedliche Schadstoffe relevant werden. Wichtig ist jedoch: Nicht jedes Fertighaus stellt automatisch ein Problem dar. Entscheidend sind die konkret verwendeten Materialien und deren Zusammensetzung.
Die „Krankheitserreger“: Typische Schadstoffe im Fertighaus
Wer ein solches Haus bewohnt oder kaufen möchte, sollte die „üblichen Verdächtigen“ kennen. Diese vier Stoffgruppen finden wir bei baubiologischen Untersuchungen am häufigsten:
1. Chloranisole (Der Geruch des Fertighauses)
Dieser Stoff ist berüchtigt für den typischen „Fertighausgeruch“. Ein muffiger, modrig-süßlicher Geruch, der nicht wieder verschwindet. Die Ursache ist chemisch bedingt und für viele Bewohner belastend. Man verwendete Holzschutzmittel in unterschiedlicher Zusammensetzung. Durch Feuchtigkeit und Bakterien in der Wand wird dieses PCP mikrobiologisch zersetzt. Dabei entstehen Chloranisole (z.B. Trichloranisol). Bereits in kleinsten Mengen kann der Geruch als extrem störend empfunden werden. Er setzt sich in Kleidung und Haaren fest („Kleiderschrank-Effekt“). Bewohner nehmen ihn durch Gewöhnung oft selbst nicht mehr wahr, Besucher jedoch sofort.
2. PCP (Pentachlorphenol) und Lindan
Beides sind alte Bestandteile von Holzschutzmittel, die heute als krebserregend bzw. hormonell wirksam und nervenschädigend eingestuft sind. Sie wurden in großen Mengen auf Dachstühle, Balken und Spanplatten aufgetragen. Das Problem: Sie bauen sich kaum ab. Sie gasen über Jahrzehnte hinweg aus und reichern sich im Hausstaub (Sekundärkontamination) und in der Raumluft an.
3. Formaldehyd
Als Bindemittel in den damals verbauten Spanplatten oder Dämmstoffen war Formaldehyd allgegenwärtig. Der Stoff wirkt reizend auf Schleimhäute, kann Allergien fördern, Kopfschmerzen auslösen und steht im Verdacht, Krebs zu verursachen. Tückisch ist hier der Wärmeffekt: Gerade im Sommer, wenn sich die dünnen Wände des Fertighauses aufheizen, steigt die Ausgasung von Formaldehyd massiv an.
4. Asbest und KMF (Künstliche Mineralfasern)
Nicht nur im Massivbau, auch in Fertighäusern wurde Asbest eingesetzt. Zudem steckt in den Wänden oft alte Mineralwolle (KMF) zur Dämmung. Solange diese Materialien luftdicht verbaut und unbeschädigt bleiben, geht meist keine akute Gefahr aus. Aber gerade bei Renovierungen, Bohrungen oder Rückbau ist jedoch höchste Vorsicht geboten, da die Fasern lungengängig und krebserregend sein können.
Therapie: Was tun, wenn du in einem Fertighaus wohnst oder kaufen möchtest?
Zuerst: Keine Panik. Nicht jedes Fertighaus ist automatisch stark belastet aber es ist wichtig aufmerksam zu werden. Als erste Maßnahme könntest du ein Blick in die Bauunterlagen werfen und dich mit den verbauten Materialien vertraut machen.
Wenn du allerdings bereits diffuse gesundheitliche Beschwerden wie z.B. Kopfschmerzen oder Atemwegsbeschwerden hast oder genauere Informationen brauchst, dann sind tiefergehende Untersuchung des Hauses wichtig.
Schritt 1: Die Anamnese (Baubiologische Messung)
Eine „Geruchsprobe“ reicht leider nicht aus aber kann bereits erste Hinweise liefern. Für eine genaue Beurteilung ist eine baubiologische Messung sinnvoll. Dabei wird analysiert, ob und welche Schadstoffe in der Raumluft, im Hausstaub oder in Baumaterialien enthalten sind. Das ermöglicht eine faktenbasierte Auswertung und zeigt ein umfassendes Bild des Hauses.
Je nach individueller Situation kommen unterschiedliche Messmethoden zum Einsatz, denn nicht jede Methode ist für jedes Haus gleichermaßen geeignet. Entscheidend ist, mögliche Wechselwirkungen zu berücksichtigen. So erfordert beispielsweise ein möbliertes Haus, das nach dem Kauf renoviert werden soll, eine andere Probenahmestrategie. Andernfalls lassen sich Belastungen aus den Möbeln nicht eindeutig von möglichen Emissionen aus der Bausubstanz unterscheiden.
Schritt 2: Die Behandlung (Sanierungsstrategien)
Basierend auf den Ergebnissen gibt es eine gute Basis für die weiteren Überlegungen:
- Maskierung (Die Kapselung): Dies kann ein möglicher Lösungsansatz sein, ist jedoch nicht in allen Fällen sinnvoll oder dauerhaft umsetzbar. Entscheidend ist, in welchem Umfang eine Maskierung erforderlich ist und über welchen Zeitraum sie zuverlässig aufrechterhalten werden kann.
- Rückbau (Die Operation): Die belasteten Materialien werden entfernt und durch unbelastete Materialien (z.B. Gipsfaser oder Massivholz) ersetzt. Das ist aufwendig und meistens kostenintensiv, beseitigt aber die Quelle dauerhaft.
- Lüftungstechnik: Eine kontrollierte Wohnraumlüftung oder weitere Lüftungskonzepte können helfen, die Konzentration flüchtiger Stoffe (wie z.B. Formaldehyd) durch permanenten Luftwechsel zu senken. Es werden die Symptome werden reduziert aber nicht die Ursache.
Nicht immer lassen sich alle Belastungen vollständig minimieren. Umso wichtiger ist es, die Gesamtsituation zu betrachten und gezielt dort anzusetzen, wo Maßnahmen vergleichsweise einfach umsetzbar sind. Auch einzelne Verbesserungen können das Gesamtbild deutlich entlasten und zu einer spürbaren Verbesserung der Wohn- und Gesundheitssituation beitragen.
Fazit
Ein „Patient Fertighaus“ ist nicht immer direkt ein Abrisskandidat. Wichtig ist allerdings ein Blick auf die Baustoffe und sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Mit dem richtigen Wissen, einer baubiologischen Messung und verständlicher Beratung bekommst du Sicherheit und kannst Entscheidungen treffen.




