Lindan als Holzschutzmittel im Innenraum

Lindan im Innenraum: Erkennen, Risiken und Alternativen

Der Traum vom eigenen Haus beginnt oft mit dem Charme vergangener Jahrzehnte. Hohe Decken, knarrende Dielen, freiliegende Balken – Altbau Schadstoffe sind meist das Letzte, woran Käufer oder Mieter denken, wenn sie durch lichtdurchflutete Räume gehen. Doch gerade in Gebäuden, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren errichtet oder saniert wurden, verbirgt sich oft ein unsichtbares, chemisches Erbe in der Bausubstanz.

Eines der prominentesten und tückischsten Wohngifte aus dieser Zeit ist Lindan. Einst als Wundermittel gegen holzzerstörende Insekten gefeiert, stellt es heute ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko dar.

Ein historischer Rückblick: Warum ist Lindan in unseren Häusern?

Um das Problem zu verstehen, müssen wir einen Blick zurückwerfen. In der Nachkriegszeit war der Erhalt von Bausubstanz oberstes Gebot. Holzschutzmittel wurden großflächig und oft präventiv eingesetzt – getreu dem Motto: „Viel hilft viel.“

Lindan ist ein Insektizid und fand deshalb massenhaft Verwendung. Bekannte Handelsnamen, die Bauherren und Sanierern in alten Unterlagen oder auf Dosen im Keller begegnen können, sind beispielsweise Xylamon (oft in Kombination mit PCP) oder Hylotox 59. Diese Mittel wurden oft großflächig und bis in die späten 80er Jahre hinein in Dachstühlen, Deckenbalken und an Holzverkleidungen verstrichen.

Das Problem: Lindan ist schwerflüchtig. Das bedeutet, es gast nicht innerhalb weniger Wochen aus, sondern verbleibt über Jahrzehnte im Holz und gibt kontinuierlich kleinste Mengen an die Raumluft ab. So wird Lindan im Innenraum zur Dauerbelastung.

Wo lauern Pestizide im Haus?

Lindan wurde primär als Holzschutzmittel eingesetzt, findet sich aber aufgrund seiner Langlebigkeit (Persistenz) mittlerweile auch sekundär in anderen Materialien. Wenn Sie in einem älteren Haus wohnen, sind dies die klassischen Fundorte:

  • Dachstühle und Konstruktionshölzer: Sichtbare Balken in Dachgeschossen sind häufig stark belastet.
  • Holzfußböden und Parkett: Oft wurden die Unterkonstruktionen oder das Parkett selbst behandelt.
  • Wandverkleidungen: Die beliebten Paneele der 70er Jahre sind oft mit lasurartigen Schutzmitteln gestrichen.
  • Alte Möbel: Antiquitäten oder Einbauten, die „gegen den Wurm“ behandelt wurden.
  • Hausstaub: Da Lindan schwerer als Luft ist, setzt es sich am Boden und im Staub ab. Dies ist oft die Hauptaufnahmequelle für Kleinkinder.

Gesundheitsrisiken: Wie wirkt Lindan?

Lindan ist ein Nervengift. Es wurde entwickelt, um das Nervensystem von Insekten zu zerstören, wirkt aber leider auch auf das menschliche Zentralnervensystem toxisch. Seit 2015 stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Lindan zudem als „krebserregend für den Menschen“ ein.

Die Aufnahme erfolgt über die Atemwege (Inhalation), den Magen-Darm-Trakt (durch belasteten Staub an den Händen) und sogar über die Haut.

Mögliche Symptome einer chronischen Belastung

Da die Symptome oft unspezifisch sind, wird der Zusammenhang zur Wohnung oft erst spät erkannt. Zu den Beschwerden zählen:

  • Neurologische Störungen: Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen.
  • Nervenschäden: Kribbeln in Gliedmaßen (Polyneuropathie).
  • Immunsystem: Erhöhte Infektanfälligkeit.
  • Allgemeinbefinden: Chronische Müdigkeit, Übelkeit, Reizbarkeit.
  • Hormonsystem: Lindan steht im Verdacht, wie ein Hormon zu wirken und das endokrine System zu stören.

Wichtiger Hinweis: Besonders tückisch ist die Kombination mit Pentachlorphenol (PCP). In westdeutschen Holzschutzmitteln traten diese Stoffe fast immer als Duo auf. PCP ist deutlich flüchtiger und sorgt oft für den typischen „muffigen“ Altbaugeruch, während Lindan geruchlos bleibt, aber in seiner Giftigkeit durch das PCP noch verstärkt werden kann (Synergieeffekt).

Erkennen: Wie finde ich heraus, ob ich betroffen bin?

Viele Hausbesitzer fragen sich: „Riecht man das?“ Die Antwort ist jein. Reines Lindan ist nahezu geruchlos. Wenn es jedoch in Kombination mit Lösungsmitteln oder PCP verwendet wurde, nehmen Bewohner oft einen süßlich-muffigen, chemischen Geruch wahr, der sich auch durch Lüften nicht dauerhaft vertreiben lässt.

Um Gewissheit zu erlangen, reichen Nase und Augen jedoch nicht aus. Kristalline Ausblühungen auf Holzbalken können ein Indiz sein, sind aber selten eindeutig.

Die sicherste Methode: Analytik

Um Pestizide im Haus zweifelsfrei nachzuweisen, führt kein Weg an einer professionellen Analyse vorbei. Hier gibt es zwei gängige Verfahren:

  1. Materialprobe: Ein Stück Holz oder ein Teil der Oberfläche wird im Labor untersucht. Dies sagt aus, ob das Holz behandelt wurde, aber noch nicht zwingend, wie viel davon in die Luft gelangt.
  2. Hausstaubanalyse: Dies ist oft der aussagekräftigste erste Schritt. Da sich Lindan im Staub anreichert, zeigt eine Analyse des Staubs (aus Staubsaugerbeutel oder abgestaubten Flächen), ob eine akute Belastung im Wohnraum vorliegt.

Es empfiehlt sich, hierfür einen Baubiologen hinzuzuziehen. Dieser kann die Proben fachgerecht entnehmen und vor allem die Ergebnisse im Kontext bewerten. Ein Laborwert allein sagt dem Laien oft wenig über die tatsächliche Gefährdung.

Sanierung: Was tun bei Lindan im Innenraum?

Ist der Befund positiv, ist besonnenes Handeln gefragt. Panik ist ein schlechter Ratgeber, aber Ignoranz ist gefährlich. Die Sanierung von lindanbelasteten Räumen gehört in die Hände von Fachfirmen. Heimwerkeraktionen können durch das Aufwirbeln von Staub die Belastung massiv erhöhen.

Hier sind die gängigen Sanierungsstrategien, sortiert nach Wirksamkeit:

1. Primärmaßnahmen (Entfernen)

Der sicherste Weg ist die Entfernung der Schadstoffquelle.

  • Ausbau von belasteten Paneelen, Böden oder nicht tragenden Hölzern.
  • Abhobeln der obersten Holzschicht (oft sind die Mittel nur wenige Millimeter tief eingedrungen). Achtung: Dies darf nur unter strengen Arbeitsschutzmaßnahmen (Vollschutz, Absaugung mit H-Filtern) geschehen!

2. Sekundärmaßnahmen (Maskierung)

Wenn das Entfernen der Balken – etwa bei tragenden Dachstühlen – bautechnisch nicht möglich ist, bleibt oft nur die sogenannte „Maskierung“ der Oberflächen. Hierbei kommen spezielle Anstriche oder Absperrgrundierungen zum Einsatz, die wie eine Barriere wirken sollen. Diese Methode ist jedoch keine ideale Dauerlösung. Das fachgerechte Auftragen dieser Sperrlacke ist extrem schwierig, da eine absolut lückenlose Schicht notwendig ist. Zudem unterliegen diese Anstriche einer natürlichen Alterung: Sie nutzen sich ab und können durch das Arbeiten des Holzes mit der Zeit feine Risse bekommen, wodurch der Schutz seine Wirkung verliert und Schadstoffe erneut austreten können.

Sichere Alternativen und Prävention

Wer heute baut oder saniert, muss nicht mehr zur Chemiekeule greifen. Das Bewusstsein für Altbau Schadstoffe hat zu einem Umdenken geführt. Konstruktiver Holzschutz ist das Stichwort.

Was bedeutet konstruktiver Holzschutz?

Anstatt Holz mit Gift zu tränken, wird durch die Bauweise verhindert, dass Holz überhaupt feucht wird und somit attraktiv für Schädlinge wird.

  • Große Dachüberstände halten Regen fern.
  • Vermeidung von Erdkontakt bei Holzteilen.
  • Gute Hinterlüftung von Fassaden.

Natürliche Alternativen

Sollte ein chemischer Schutz dennoch unvermeidbar sein (z.B. bei tragenden Teilen im Außenbereich), gibt es heute moderne Präparate auf Basis von Borsalzen oder thermische Behandlungsverfahren (Thermoholz), die für den Menschen im Innenraum unbedenklich sind.

Für den Innenraum gilt grundsätzlich: Holz benötigt bei normalem Wohnklima (trocken, beheizt) keinen chemischen Holzschutz gegen Insekten oder Pilze. Verzichten Sie auf „vorbeugende“ Anstriche aus dem Baumarkt, wenn diese Biozide enthalten. Öle, Wachse und Lasuren auf Naturharzbasis sind die gesunde Wahl für Ihre Möbel und Böden.

Fazit: Gewissheit schafft Sicherheit

Lindan ist ein tückisches Erbe, das viele Altbauten belastet. Doch ein Verdacht bedeutet nicht, dass das Haus unbewohnbar ist. Mit moderner Analytik lässt sich die Gefahr genau beziffern und mit fachgerechten Methoden in den Griff bekommen.

Wichtig ist, das Problem nicht „unter den Teppich zu kehren“ – denn genau dort sammelt sich der giftige Staub. Wenn Sie unsicher sind, ob dein Zuhause betroffen ist, oder jenen typischen, süßlichen Altbaugeruch wahrnehmen, lass dich beraten.

Cathleen Engelke

Cathleen Engelke

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